Myrtax XI - Verhängnisvolle Feier

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20. Lirthak 7345 Vierte Ära NL

Kurz nach Sonnenuntergang

Myrtax

 

 

 

"Myrtax!", bellte ihm jemand zu und der junge Sklave wandte den Kopf. Es kratzte leicht am Hals, seine Festtagskleidung war neu und noch nicht eingetragen, auch rann ihm Schweiß den Rücken hinunter.

Ein breiter Vampirsklave mit einem lila Tuch um sein Sklavenhalsband deutete auf die vier großen Stühle aus poliertem Ebenholz, welche gerade an den Kopf der aufgestellten Tische gebracht wurden. Jeder der Stühle wurde von vier Sklaven getragen, so schwer waren sie. Zwei der beiden Sitzgelegenheiten hatten eine doppelt mannshohe Rückenlehne, welche so bearbeitet worden war, als würde die Rückenlehne aus einem Rosenstrauch bestehen. Dies waren die Throne für die Herren Rovinna und Simar. Die beiden anderen Stühle waren ähnlich gefertigt, nur etwas größer als die Stühle der Gäste und kleiner als die Throne der adligen Herrscher.

Myrtax hob fragend die Schultern.

"Was?", rief der Vampir ihm zu. Myrtax hatte die Schreierei jetzt schon satt und ging auf den Mann zu, der ihn um einen Kopf überragte. Seine hellen Augen, die an klares Wasser erinnerten, blitzten bösartig.

"Was?", fragte nun auch Myrtax. "Was soll ich hier tun?"

"Du bist doch der Vertraute, Blutsack." Der Vampir schien ehrlich erstaunt über die Gleichgültigkeit von Myrtax zu sein, der keine Angst zu haben schien. "Richte die Stühle her, die Herren sollen es bequem haben."

"Nun gut." Myrtax schaute in die Dunkelheit und dann zurück zu dem Baum, den das Herrscherpaar bewohnte. "Nach welchen Kriterien? Wir wollen doch nichts falsch machen."

"Werde nicht frech. Hast du denn gar keine Ahnung?" Der Vampir lachte. "Hol die Kissen und Decken, die bei den Stühlen waren. Los, ich will hier nicht den ganzen Tag rumstehen und dir alles erklären müssen."

Myrtax seufzte, nickte und wandte sich ab, ging den Sklaven hinterher, welche die Stühle herangetragen hatten und nach wenigen Augenblicken kam ihm einer der Rücken bekannt vor.

"Jaloquin?", fragte er leise und der Angesprochene drehte sich um.

"Ach, sieh mal einer an." Das Gesicht das Mannes verzog sich zu etwas, was Myrtax als Abscheu bezeichnet hätte. "Das Schoßhündchen. Ich hörte, wie haben jemanden verloren?"

"Was interessiert es dich?" Myrtax war erstaunt, dass der Tod von Huria auch bei den Sklaven angekommen war. Sie war während ihrer Schwangerschaft kaum aus dem Baum herausgekommen. Vermutlich hatten die Dienerinnen geplaudert oder irgendwer anders.

"Tja, mich interessiert viel, Hund. Was willst du?"

"Du hast gerade die Stühle für die Herren herausgetragen."

"Ja und?"

"Gibt es dazu Sitzkissen und Decken? Einer der Vampire meinte, ich solle sie bereitmachen."

"Oh." Ein kaltes Lächeln stahl sich auf das Gesicht des anderen Sklaven und Jaloquin machte eine Bewegung zum Baum. "Aber natürlich, folge mir."

Myrtax stapfte ihm lächelnd hinterher. Seine Aufgabe war gerade um einiges leichter geworden. Jaloquin führte ihn am Fuße des Baumes zu einem Lagerhaus, wo Myrtax wusste, dass dort auch die Tische gelagert worden waren, die jetzt auch auf dem Platz vor dem Anwesen standen. Die beiden hölzernen Flügeltüren standen sperrangelweit offen, obwohl keine Tische oder Stühle mehr gebracht wurden. An der linken Seite stapelten sich Kissen, Decken und Tücher in Kisten. Es gab vier große Kisten, die mit Blattgold umrandet waren. Jede hatte eine Bezeichnung in altem Vampirisch in goldenen Lettern auf der Vorderseite, welche Myrtax allerdings nicht geläufig war.

"Hier." Jaloquin deutete auf die vier großen Kisten. Wieso waren es eigentlich genau vier Stück?

"Wieso sind es genau vier Stück?", fragte Myrtax, der Sklave lachte leise.

"Weil Vampire Arschlöcher sind, weißt du doch.", erwiderte er feixend. "Schau mal rein."

Jaloquin ließ Myrtax die ganze Arbeit machen, die Kisten waren aber nicht sonderlich schwer, jedenfalls nicht so schwer wie erwartet bei dem ganzen Stoff, der in ihnen lagerte. Da sie aus leichtem Holz waren, würde er gut zwei Kisten auf einmal tragen können.

Er öffnete die hölzernen Deckel, die Angeln quietschten leise. In zwei Truhen lagen Kissen und Decken in einem tiefen Violett und in den anderen beiden Kissen und Decken in einem tiefen Blau, so blau wie das Meer.

"Und wieso gibt es nur vier Kisten?", wiederholte Myrtax seine Frage.

"Weil es nur zwei Herrscher gibt und nur die ersten beiden Kinder oder der oder die Erstgeborene mit dem Partner auf diesen famosen Kissen und Decken sitzen darf.", grummelte Jaloquin, ihm war wohl die Geduld ausgegangen. "Die blauen Kissen und Decken sind für das Herrscherpaar."

"Gut zu wissen." Myrtax schaute hoch, lächelte zaghaft. "Danke, das war mir eine große Hilfe."

"Freut mich." Jaloquin klopfte ihm mit der Pranke auf die Schulter, Myrtax sackte dabei ein, bevor der andere Sklave das Lagerhaus verließ. Myrtax nahm die beiden Kisten in Blau auf und stapfte zurück zu der Festlichkeit, versuchte dabei niemanden anzurempeln. Danach holte er die Kisten mit dem violetten Inhalt, stellte sie nebeneinander hinter die Stühle, bevor er die Kissen ausklopfte, kurz daran roch und sie dann auf die Sitzflächen legte. Die beiden blauen Kissen in die Mitte und die violetten Kissen auf die beiden Stühle rechts von den Thronen.

Die Kissen rochen gut, weder muffig noch alt, nur etwas Staub klopfte Myrtax aus und legte dann die zusammengefaltete Decke auf den Fuß der Throne und neben die Stühle auf eine Unterlage, damit sie nicht auf der Erde beziehungsweise des Steins lagen.

Niemand sagte ein Wort, überall huschten immer noch viele der Sklaven und Bediensteten umher, gerade wurden die Gläser für die Gäste gebracht und auf den Tischen verteilt. Die schmalen Feuerstellen, die extra für dieses Fest in der U-förmigen Formation der Tische aufgebaut worden waren, wurden gerade entzündet, kleine Flämmchen krochen über das Holz.

Myrtax trat ein paar Schritte zur Seite und begutachtete sein Werk. Dabei fiel ihm auf, dass die beiden Throne deutlich erhöht lagen und sowohl Rovinna als auch Simar das Fest überblicken konnten. Wie es auch ihrem Stand entsprach.

Fauchend wurden Feuerschalen entzündet, die auf Gestellen in etwa zweieinhalb Metern Höhe hingen, damit sie den Vampiren nicht im Weg waren und genug Licht und Wärme spendeten. Das Licht brach sich in den Kristallgläsern, funkelnde Strahlen breiteten sich auf den Tischen mit den weißen Tischtüchern aus, schmeichelte den hölzernen Tellern, Schalen und dem Besteck. Der dunkle Himmel mit den blinkenden Sternen schien wie schwarzer Samt dem Horizont zu schmeicheln und von den Infernalé besonders für diesen Tag ausgerollt worden zu sein.

Fast wie ein Teppich. Aber nur fast. Die blinkenden Sterne erinnerten an Diamanten, die irgendwer verloren hatte und die sich verstreuten. Da oben war der große Bär Naprach, der sich bereits zeigte, um später die Schlange Serpentim zu vertreiben. Momentan wachte aber der Menschenhirsch Lirthak über sie mit seinen vier Armen und den zwei Beinen und dem Geweih voller messerscharfer Enden. Man sagte, sein Hunger sei so groß, dass er auch vor dem Bären keinen Halt machen würde.

Myrtax verstaute die vier Kisten hinter einem Busch am Rande der Festlichkeit, damit die hohen Herrschaften nicht durch die Anwesenheit von Lagergegenständen gestört wurden. Es musste alles perfekt sein an diesem Tag. Man feierte ja nun nicht immer zehntausend Jahre Ehe.

Sklaven brachten Früchtekörbe heran, Wein wurde auf Servierwagen herangerollt und die ersten Wildschweine wurden auf langen und schweren Eisenstangen von kräftigen Sklaven gebracht und auf die Stangen gelegt. Köche in weißer Kleidung traten ihren Dienst an und bald duftete es herrlich nach frisch gebratenem Fleisch und Gemüse, welches über kleinen Feuerstellen schmorte.

Nach und nach trudelten die Gäste ein, vielfach adlige Vampire, die einen oder mehr Sklaven dabeihatten. Eine der weniger namhaften Familien führte ihr Sklavenpaar sogar an dünnen Ketten hinter sich her.

Jeder der Vampire war festlich gekleidet, sogar die Sklaven hatten bessere Kleidung erhalten, zumindest die der Lachlidan, soweit Myrtax es sagen konnte. Ihm fiel außerdem auf, dass keiner der Vampire sich aufreizend gekleidet hatte.

Ja, überall blinkten goldene Ketten, Edelsteine, Brokat, Haare waren mit edlen Nadeln hochgesteckt, eine Vampirfrau hatte ihre Haare sogar mit Silberfäden durchwirkt, in denen Edelsteine ruhten, aber niemand zeigte mehr Haut als notwendig. Keine aufreizenden Blitzer zwischen zwei Stofflagen am Rock oder die Darstellung übertriebener Muskeln oder weiblicher Kurven.

Das war für Myrtax neu. War dies eine Anweisung der hohen Herren oder Respekt gegenüber ihnen und dem Fest? Bedeutete dies, dass Myrtax heute ohne die Ehre von nackten Leibern ins Bett gehen würde? Diesen Umstand würde er sehr begrüßen.

Einige der mit der Sitzordnung vertrauteren Diener führten die Gäste nacheinander zu ihren Sitzplätzen, es wurde Wein, Wasser, Tee und Alkohol in vielen verschiedenen Ausführungen in kristallenen Dekantern in die ebenfalls aus Kristall bestehenden Gläser gegossen und ein frohes Fest gewünscht. Die Gäste unterhielten sich, noch flogen keine Beleidigungen und es wurde sich zu dem Kleid, dem Mann oder der Frau, gerne auch zu dem Geschmeide und manchmal sogar zu der guten Auslese der Sklaven gratuliert.

Als Myrtax das Gefühl hatte, er stünde sich gerade die Beine in den Bauch, verteilten die Köche die ersten Appetithäppchen: kleine Süßspeisen aus in Butter gebackenen Teigbällchen. Einige waren mit Honig überzogen und ihm knurrte der Magen, obwohl er gerade keinen Hunger hatte. Nur sehr viel Langeweile, da seine Herren noch nicht an ihrem Platz waren und es auch nicht würden, bis es kurz vor Mitternacht sein würde.

Dennoch schaute sich Myrtax immer wieder verstohlen um, entdeckte dann in den Ecken, an den Baumstämmen und knapp außerhalb des Feuerscheins Sitzkissen für die Adligen, wo auch Vasen und Sträucher Sichtschutz boten.

Also würde es heute Nacht bis in den Morgen gehen. Nun gut, Myrtax musste nicht dabei sein. Er wollte nur etwas von den süßen Bällchen und ein herzhaftes Stück von dem Wildschwein haben. Das Gemüse war ihm egal, das bekam er jeden Tag, aber ein Stück Wildschwein, heiß, fettig, lecker?

Es ging auf Mitternacht zu und Myrtax wurde unruhig, als die Feuer am Eingang des Baums entzündet wurden. Kaum wenige Herzschläge später traten vier Silhouetten aus dem gebogenen Eingang.

Der Herr Simar war in einen tiefroten Dreiteiler gekleidet, dessen hinterer Teil bis in die Kniebeugen ging. Seine Weste war mit mehreren schmalen Goldketten behangen und vom Kragen der Weste baumelte an einer ebenfalls goldenen Kette das Zeichen des Clans der Lachlidan herab. Seine Hände steckten in weißen Handschuhen, ebenso wie die seiner Frau Rovinna. Seine Füße wurden von schwarzen Lederschuhen, die seltsam poliert wirkten, vor den Unbilden des Bodens geschützt. Die Hose war ebenso rot wie der Rest des Anzugs, seine rechte Seite wurde von einem Umhang geschützt, die Säume glänzten ebenfalls golden und silberne Stickereien erzählten eine Geschichte, die Myrtax allerdings nicht entziffern konnte.

Er sah wirklich sehr gut aus, aber Rovinna hingegen stahl allen Leuten den Augenblick. Ihr Kleid war ebenso rot wie der Anzug ihres Mannes, jede Naht war mit Golddraht durchwirkt, die Form ihrer Brust und ihres Halses wurde mit silbernen Fäden nachgezeichnet, Diamanten und Rubine hingen an kleinen Haken an den Fäden, Smaragde als Ohrringe und als Kette um Hals und Ohr. Ihr schwarzes Haar war in einer Art Turm nach oben gesteckt worden, Nadeln aus Obsidian hielten die Haare oben. Ketten aus Silber mit feurigen Rubinen krönten ihr Haar. Ihre Hände steckten in ebenso weißen Handschuhen wie die ihres Mannes, dabei gingen sie ihr bis zum Ellbogen. Ihre Füße konnte Myrtax nicht sehen, diese wurden durch den langen Rock verborgen, der sich nach hinten zu einer Schleppe ausweitete.

Jilal war, ganz nach seiner momentanen Stimmung, in einen rein schwarzen Anzug aus Samt gekleidet und bis auf das goldene Symbol des Lachlidan-Clans auch so konturlos wie der Himmer über ihnen. Ihm fehlten nur Diamanten, welche die Sterne zeigten. Sein Gesicht war immer noch nicht vollständig verheilt und würde wohl auch die Narben beibehalten, die Rovinna ihm beigebracht hatte. Warum er sie nicht verdeckte, war Myrtax unbekannt. Vermutlich aus Stolz.

Zu Myrtax' Erstaunen ging sehr dicht neben Jilal seine Vertraute Marseille. Ihre Haare flossen auf ihren Rücken, waren auf der Oberseite zu drei Zöpfen geflochten worden, welche sich in ihrem Kreuz zu einem dicken Zopf vereinigten. Ihr tailliertes Kleid war so grün wie das Gras an einem Sommermorgen, das Zeichen der Lachlidan hing an einer Lederschnur auf ihrer Brust, ein mehrfach umschlungener Ledergürtel lag um ihre Taille und hing ihr auf der linken Seite herunter. Das Kleid hatte Arme bis zu den Handgelenken, wo man ihr Armband sehen konnte, welches sie als Dienerin auszeichnete. Ihre Füße steckten in Lederschuhen, Handschuhe oder weiteren Schmuck besaß sie keinen.

Die beiden Herrschaften wandten sich zu den Thronen und stockten. Die Herrin Rovinna kniff die Lippen kaum merklich zusammen und wandte sich an den breiten Vampir, der Myrtax vor Stunden angeschnauzt hatte. Sie sprachen kurz miteinander, Rovinna schien aufgebracht, da deutete der Vampir auf Myrtax. Drei Augenpaare - Marseille schien sich nicht zu trauen, auch nur mit einem Muskel zu zucken - richteten sich sofort auf Myrtax, dem das Herz in die Hose rutschte. Was hatte er denn nun falsch gemacht?

Langsam ließ sich das Herrscherpaar auf den beiden Thronen nieder, Rovinna bewegte unbehaglich den Körper. Erst, als sich die Herren niedergelassen hatten, setzten sich Jilal und dann Marseille. Myrtax war seltsam erleichtert darüber, dass ihre blauen Flecken nicht mehr zu sehen waren. Vermutlich heilte er sie aber auch mittlerweile, Jilal hatte sich eingehender mit Magie und Heilungsmöglichkeiten auseinandergesetzt, vor allem, da er wohl bald wieder gegen einen Clan der Kleinen Zwölf ins Feld ziehen sollte.

Jeder der vier Vampire bekam einen silbernen Kelch mit Wein gereicht, die Kelche von Rovinna und Simar waren schmuckvoller als die ihres Sohnes oder von Marseille, besaßen feine Punzierungen und jeder einen Rubin.

Die Gespräche der Gäste verstummten beinahe sofort, als sich Rovinna erhob.

"Meine sehr verehrten Gäste", begann sie ihre Rede und war weithin zu hören, "meine sehr verehrten Freunde, Nachbarn, Bekannten und Handelspartner.

Lang, lang ist es her, dass wir zusammenfanden am Fuße von Leysirith, zuletzt nach dem Sieg über unsere bellenden Feinde und zur Trauer um verlorene Freunde, Geliebte und Partner.

Doch heute ist es ein Tag der Freude. Ich danke euch jetzt schon, euch allen! Eure Geschenke sind uns lieb und teuer, aber noch mehr freuen wir uns über das Geschenk eurer Anwesenheit.

Aber es ist nicht nur euer Tag der Freude, sondern auch der meinige." Myrtax sah zum ersten Mal, wie Freude im Gesicht der Herrin aussah und fühlte sich seltsam geblendet. Wenn sie nicht verkniffen oder zornig wirkte, war sie eine wirklich hübsche Frau.

"Denn am heutigen Tage, just zu dieser Stunde", Rovinna wurde noch etwas größer, als sie den Rücken durchstreckte, "jährt sich meine Hochzeit mit meinem geliebten Gemahl Simar zum zehntausendsten Mal!"

Die Vampire applaudierten, einige pfiffen, sogar ein paar der Diener klatschten in die Hände. Dies war nicht verboten und den meisten auch erlaubt. Nur die beiden Sklaven mit den Ketten an ihrem Sklavenhalsband rührten sich keinen Millimeter, hielten nur feine Schalen in den Händen, aus denen ihre Herren kleine rote Beeren nahmen.

"Darauf trinken wir!", donnerte eine Stimme aus den Reihen der Gäste, die Myrtax allerdings nicht zuordnen konnte. Kelche wurden gröhlend angehoben, die meisten Frauen senkten nur den Kopf, als sie ihr Trinkgefäß in Richtung der Lachlidan-Oberhäupter streckten. Erst jetzt bemerkte Myrtax die anderen vier Ratsmitglieder und die beiden Hohepriester in ihren schimmernden Roben. Die Hohepriesterin hatte sich sogar Diamanten um den Busen und in die Haare stecken lassen, ihre Robe spielte mit den Blicken genau wie die ihres Mannes, dessen schwarzes Haar mit Rubinsplittern gesprenkelt war.

Rovinna hob ihren Kelch an die Lippen und sie tranken. Myrtax ließ den Blick schweifen, ob noch Bedarf irgendwo vorhanden war, aber die anderen Diener und Sklaven wuselten eifrig um die Tafeln herum, Wein und Schnaps wurden reichlich nachgeschenkt. Noch brauchte er nicht an die adligen Vampire herantreten, noch hatten sie reichlich zu trinken. Marseille hatte sich so klein gemacht wie möglich, um ihre Blessuren nicht zu zeigen und auch um nicht mehr als nötig aufzufallen.

"Danke, ihr ehrt uns." Rovinna verneigte sich steif aus der Hüfte, warf den beiden Hohepriestern einen Blick zu, den Myrtax nicht deuten konnte, bevor sie sich wieder den Gästen zuwandte. "Für uns und euch ist es ein großer Tag, aber dieser Tag wird noch besser, denn wir haben eine Neuigkeit zu verkünden, die uns von großer Wichtigkeit ist und uns sehr am Herzen liegt."

Sie drehte sich zu ihrem Sohn, der breit grinsend aufstand und seinen Becher an der Brust hielt. Die Köpfe der Vampire bewegten sich nur ein wenig, um den jungen Lachlidan ins Auge zu fassen.

"Mein Sohn!", rief Rovinna ihren Gästen zu. "Einige kennen ihn. Sein Name ist Jilal und er ist mein Sohn, mein Stolz, mein Augapfel, mein Blutwein. Er ist unser ganzer Stolz und durch seine gute Arbeit mit den penetranten Clans der Zwölf, bei dem er viele Freunde und viel Blut verlor, hat er sich nicht nur unsere Liebe und unsere Anerkennung verdient, sondern sich auch für einen guten Lebensweg qualifiziert. Seine Belohnung sitzt hier bei uns."

Sie deutete auf Marseille, die erschrocken aus der Wäsche schaute und gleich um einige Farbtöne bleicher wurde. Dennoch erhob sie sich langsam, zuckte einmal zusammen. Myrtax verzog das Gesicht. Jilal war nicht sehr sanft mit ihr umgegangen, konnte er sich vorstellen.

"Das ist Marseille, eine Fondané des sechsten Ranges. Ihre Familie kommt aus der Teppichknüpferei und hat viele unserer Wandbehänge geknüpft. Sie und ihre Familie sind uns seit Jahrhunderten treu ergeben und um dieses Band zu stärken, werden Jilal und Marseille am achtundzwanzigsten Lirthak heiraten!"

Die Vampire klatschten in die Hände und Marseille sah aus, als würde sie sich übergeben müssen. Jilal lächelte, aber sogar Myrtax erkannte, dass es kein freundliches Lächeln war. Er hatte jetzt gewonnen und niemand würde etwas daran zu rütteln haben. Weder Marseille noch ihre Familie. Nun war ihr einziger Ausweg höchstens die Flucht oder der Tod. Sie war ihm jetzt ausgeliefert.

"Darauf trinken wir!", rief Jilal, als er die Hand von Marseille nahm und sie hochhielt, als hätte sie etwas gewonnen. Die Vampirfrau tat Myrtax für einige Herzschläge leid, wie sie verloren und ängstlich neben dem größeren Vampir stand, aber er wusste genau, wie Marseille mit ihm verfahren war und wie mit Huria. Oder anderen Sklaven, wenn er schon dabei war. Deswegen schob er das Mitleid beiseite und grinste in sich hinein. Das war besser als jede Strafe, die er sich mit den Zaubern der Altvorderen ausgedacht hatte oder auch nur ausdenken würde. Zum Glück riss er ihr nicht vor aller Augen die Kleider vom Leib. Demütigung hin oder her, dies wäre zu geschmacklos gewesen.

Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie er gerade fühlte, als die Herrin Rovinna ihren schlanken Arm hob und ihn zu sich winkte. Diensteifrig eilte Myrtax um die Tafel herum und hinter die beiden großen Stühle, wo er kaum zu sehen war.

"Herrin?", fragte er mit gedämpfter Stimme, hielt sich im Schatten der Rückenlehnen.

"Hol den Blutwein.", befahl Rovinna tonlos. "Dies ist ein Augenblick, den wir feiern sollten."

"Ja, Herrin, ich hole ihn sofort. Beide Flaschen?"

"Beide Flaschen. Und für jeden eines der Tulpengläser."

"Sehr wohl, Herrin." Myrtax trat von den Stühlen zurück und machte ein paar Schritte in die Dunkelheit hinter den Feuern, wo ein Stehtisch stand, der aus ineinander gedrehten Wurzeln bestand, der eine feine Kristallplatte hielt. Darauf befanden sich mehrere Silbertabletts, daneben standen auf einem schmalen Tisch ganz viele Gläser aus Kristall in allen möglichen Formen. Handgroße Gläser für Schnaps, feine Gläser für Wein, langgezogene Phiolen für Liköre und so weiter. Einige von ihnen besaßen die Form einer halb geöffneten Tulpe, aus deren Blättern man trinken konnte.

Auf dem niedrigen Tisch standen mehrere große Dekanter, deren Sockel gleichzeitig auch das Gefäß waren und aussahen wie in Kristall gegossene Fladenbrote mit einem senkrecht nach oben ragenden Hals. Verschlossen wurden sie mit einem diamantförmigen Weinstopper.

Das Feuer brach sich in den vielen Facetten und ließ den Blutwein, sowohl den sechs Jahre alten Hermon als auch den fünfzig Jahre alten Queng hell- bis dunkelrot leuchten. Der vierundzwanzig Jahre alte Golbach blieb erstaunlich gleichgültig gegenüber dem Licht und behielt seine fast ölfarbenartige Färbung bei.

Myrtax nahm sich eines der großen ovalen Silbertabletts und stellte die drei Dekanter darauf. Die Namensschilder stellte er direkt davor, damit er wusste, was er dort einschenkte. Bei dem Namen Hermon hatte er wieder das Bild des kleinen Mädchens vor Augen und dann die blutigen Eingeweide von Huria. Ihm wurde flau im Magen und er stützte sich auf dem Tisch ab, um nicht das gute Kristall mit seinem Mageninhalt zu beflecken. Mehrfach musste er tief ein- und ausatmen, bis sich sein Körper beruhigt hatte, bevor er vier der schlanken Tulpengläser vor die Dekanter stellte.

Vorsichtig hob er seine Last an, verteilte das Gewicht noch etwas und wandte sich den Thronen zu. Jilal hatte sich mit Marseille wieder gesetzt. Irgendwie war Myrtax froh darum, dass er nicht so fühlte wie der Vampir oder andere Menschen. Er hatte nie das Interesse an Frauen - oder Männern - entwickelt und verstand nicht, was die Aufregung um nackte Körper und seltsames Gehoppel sollte. Außerdem hatte er sich sehr unwohl und fehl am Platze gefühlt, als sowohl Jilal als auch Marseille ihn zu verführen suchten.

Doch nun war es hoffentlich vorbei und er konnte sich etwas mehr auf seine Studien konzentrieren. Oder es ging in die andere Richtung und Jilal vertiefte sich mehr in die Magie, um Marseille zu strafen. Was Myrtax mitbekommen hatte, gefiel ihm gar nicht, aber es richtete sich gegen seine Eltern und nicht gegen Myrtax oder Marseille. Die beiden Herrschaften wussten mittlerweile davon, dass Jilal etwas im Schilde führte.

Myrtax senkte das Tablett etwas, damit er das Gewicht nicht völlig auf den Ellbogen hatte, als er schon auf halbem Weg zu den Herrschaften war. Dies war im Nachhinein sein Glück, auch, wenn er es in dem Moment nicht realisierte.

Was er realisierte war eine Hand, die sich warm und fest auf seinen Rücken legte und ein Fuß, der sich ihm in den Weg stellte. Jemand schubste ihn und das nicht gerade sanft. Die wunderschönen Kristalldekanter erhoben sich majestätisch von dem glänzenden Tablett, gefolgt von den Tulpengläsern. Myrtax sah den Boden ungewöhnlich grazil in seine Richtung kommen. 

Adrenalin flutete seinen Körper, als er den vierundzwanzig und fünfzig Jahre alten Blutwein abheben und Richtung Boden fliegen sah. Mit einem panischen Schrei machte Myrtax mit dem Rest seines noch auf dem Boden befindlichen Fußes einen Satz. Eigentlich streckte er sich nur sehr stark, aber dadurch konnte er die Tulpengläser, den Golbach- und den Queng-Wein vor dem harten Boden retten.

Aber nicht den sechs Jahre alten Hermon. Der hübsche Kristalldekanter verlor seinen Stopper und schlug mit der Basis zuerst auf den harten Steinen auf. Traumwandlerisch schön zerplatzte die Basis, flache Splitter stoben in alle Richtungen davon, wie Sternschnuppen gleich. Der rote See des Blutweins gesellte sich dazu, färbte die Kristallsplitter blass-rosa bis blutig-rot, verteilte sich auf den grauen Steinen, die dadurch aussahen, als hätte man auf ihnen jemanden ausgeschlachtet und das Blut vergessen.

Myrtax hörte es nicht scheppern. Er hörte den Krach nicht. Er sah nur, wie der Blutwein sich über die Steine ergoss und in die feinen Ritzen sickerte. Er spürte den kalten Kristall an seiner Ausgehkleidung und hörte das schadenfrohe Lachen einer tiefen Stimme, die er glaubte zu kennen.

Die Stille, die darauf folgte, war förmlich zu greifen. Myrtax wollte nicht aufschauen, wollte nicht wissen, was jetzt passierte. Er tat es dennoch und schaute in die Augen von drei wütenden und einem neugierigen Vampir. Die Gäste waren beinahe gleichzeitig verstummt und die roten Augen der Herrin Rovinna spuckten Feuer in seine Richtung. Nur Marseille lächelte schmal. Sie war nun nicht mehr das Ziel der Aufmerksamkeit. Vorerst jedenfalls nicht mehr.

"Ich habe die teuren Flaschen gerettet.", murmelte Myrtax und wiederholte es noch einmal mit festerer Stimme in der Hoffnung, dass die Bestrafung nicht in seinem Tod endete.

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